Michael Kraus: "Die medizinische Lage in Melk war katastrophal. Es war tatsächlich ein Lager zur Vernichtung durch Arbeit."
Kurzbiografie Michael Kraus
Michael Kraus wurde im Jahr 1930 in Trutnov (Trautenau, TCH) als Sohn des Arztes Josef Kraus geboren und besuchte in Náchod (TCH) die Knabenschule. Im Mai 1942 wurde die Familie in eine sog. "Sammelwohnung" gesteckt, im Dezember erfolgte die Deportation in das Ghetto Theresienstadt, wo Michael mit dem Schreiben eines Tagebuchs begann, das aber nach der Überstellung nach Auschwitz vernichtet wurde. Zwischen März und Juli 1944 wurde das Gros von Michael Kraus‘ Familie in Auschwitz ermordet, seine Mutter starb im Jänner 1945 im KZ Stutthof. Michael Kraus entging mit Glück der Vergasung und erreichte im Jänner 1945 mit einem Evakuierungstransport das KZ Mauthausen, von wo er im Februar 1945 zur Zwangsarbeit nach Melk überstellt wurde. Mitte April kam er zurück nach Mauthausen und nahm Ende April am rund 70 Kilometer langen Todesmarsch in das KZ Gunskirchen teil. Dort wurde er – inzwischen an Typhus erkrankt – am 5. Mai 1945 von US-Soldaten befreit. Nun begann Michael, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Er wanderte nach Kanada aus, studierte Architektur und übersiedelte in die USA, wo der zweifache Vater und vierfache Großvater heute lebt.
In seinem Tagebuch erinnert er sich an seine Ankunft in Melk: "Wir marschierten lang durch die verschneite Stadt, durch Straßen, von herrlichen Villen und Gärten gesäumt. Überall Schriftzüge - deutsche Vereine und Ämter, überall Plakate. Wegen des schlechten Wetters waren auf der Straße fast keine Menschen. Dann ging es steil bergauf. […] Wir mussten uns auf der großen Fläche zwischen den Wohnhäusern in Reihen aufstellen. Wieder wurden wir durchgezählt, der Kommandant war wütend und schimpfte. Ich weiß nicht, wie lang das dauerte, aber es schien uns eine Ewigkeit."
Michel Kraus berichtet weiters von der furchtbaren Lebenssituation der Melker KZ-Häftlinge, von denen letzten Endes fast 5.000 ermordet wurden: "Der Weg zum Arbeitsplatz war ungeheuer anstrengend. Die Häftlinge mussten zunächst hinunter zu einem speziell für sie gebauten Güterbahnhof, wo sie wegen der vielen Fliegerangriffe lange auf den meist verspäteten Zug warten mussten. Bis dorthin waren beidseits des Wegs starke Scheinwerfer für die Nachtschicht aufgestellt. Täglich brachten die Häftlinge auf primitiven Tragen Dutzende toter Gefährten mit in das Lager zurück. Die medizinische Lage in Melk war katastrophal. Es war tatsächlich ein Lager zur Vernichtung durch Arbeit."
Quelle: Kraus, Michael: Tagebuch 1942-1945. Aufzeichnungen eines Fünfzehnjährigen aus dem Holocaust, Berlin 2015.