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Im Dialog für die Erinnerung

23.04.2025

Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus darf kein Ritual sein, das wir einmal im Jahr pflichtbewusst abhaken. Es ist eine Aufgabe, die jeden Tag aufs Neue beginnt. Denn wer sich erinnert, übernimmt Verantwortung. Verantwortung dafür, dass Ausgrenzung, Hass und Gewalt nie wieder den Boden finden, auf dem sie einst wuchern konnten.

Gedenken bedeutet nicht nur stille Kranzniederlegungen oder ernste Gesichter an Gedenktagen. Gedenken lebt durch Begegnung, durch Gespräche, durch Fragen – vor allem mit der jungen Generation. Gerade Jugendliche müssen wir erreichen, weil sie die Zukunft gestalten. Sie wachsen in einer Welt auf, in der Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rassismus oft nur einen Klick entfernt sind. Deshalb müssen wir sie ernst nehmen, ihnen in ihren Lebenswelten begegnen und sie auffordern, sich unserer Leitfrage zu stellen: "Was hat das mit mir zu tun?"

In unserer Vermittlungsarbeit zeigen wir manchmal das Bild eines Weihnachtsfests, aufgenommen von einem Mitglied der SS in Mauthausen. Dieses dient als Ausgangspunkt für Schüler:innen, den Wahrheitsgehalt eines Fotos zu hinterfragen. Dass Informationen gefiltert werden müssen und nicht alles für bare Münze genommen werden kann, was einem als echt präsentiert wird, erleben sie in ihrem Alltag ständig auf Social Media-Plattformen wie Instagram und TikTok. Auch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ist auf Instagram und seit 2022 zudem auf TikTok aktiv. Für uns war es ein Novum, ein Wagnis – doch eines, das sich gelohnt hat. Heute leben wir den Dialog mit Jugendlichen in diesem Medium, indem wir sie auf Augenhöhe über gesicherte historische Fakten informieren. Kurze Videos über die Geschichte des KZ-Systems Mauthausen-Gusen und die Menschen, die dort gefangen gehalten und getötet wurden, vermitteln die Botschaft, dass es Mut braucht, sich gegen ein Unrecht zu stellen, damals wie heute. Zwischen Jänner und März 2025 erreichten uns auf TikTok sage und schreibe 51.000 Kommentare, was uns auf unserem Weg bestärkt: Erinnerungskultur muss dorthin, wo junge Menschen ihre Welt verhandeln. Sie ist lebendig und relevant. Unsere Botschaft verbreiten wir nur, indem wir aus der Gedenkstätte heraus das Gespräch suchen. Nur wenn wir miteinander kommunizieren, können wir Vorurteile abbauen, Perspektiven wechseln und Empathie wecken. Erinnerung ist ein Austausch, der Brücken schlägt – zwischen Generationen, Lebensrealitäten und Weltanschauungen.

Und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist kein Blick zurück, sondern ein Blick nach vorn: Wie wollen wir als Gesellschaft miteinander leben? Welche Werte geben wir weiter? Und wie gehen wir mit der Verantwortung um, die uns die Geschichte auferlegt hat?

Erinnern bedeutet, aktiv in den Dialog zu treten. 365 Tage im Jahr.

Barbara Glück
Direktorin Mauthausen Memorial

Gudrun Blohberger
Pädagogische Leitung

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