Sie sind hier

Rechtsextreme gegen das Gedenken

22.04.2025

Bernhard Weidinger (kurze dunkle Haare) trägt einen schwarzen Hoodie und steht mit verschränkten Armen vor einer weißen Wand mit vertikalen Glaselementen.

Die Auseinandersetzung der extremen Rechten mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen war lange Zeit von Leugnung, Relativierung oder Rechtfertigung geprägt. Während diese Tendenzen vor allem im Bereich des Neonazismus nach wie vor bestehen, haben modernere Ausprägungen des Rechtsextremismus die Strategie gewechselt. Akteure wie die Identitäre Bewegung stellen im Bemühen um Massenanschlussfähigkeit die Verbrechen nicht infrage, stellen sich aber gegen Rückschlüsse, die aus ihnen für die Gegenwart gezogen werden. Ins Visier geraten so anstelle der historischen Wahrheit die Aufklärung über diese, das Gedenken an die Opfer, der daraus abgeleitete antifaschistische Grundkonsens und die Holocaust Education. Man wendet sich gegen einen vermeintlichen "Schuldkult", der in Deutschland und Österreich betrieben werde und einen regelrechten "Ethnomasochismus" befördert habe. Holocaust Education stelle eine "gezielte Gehirnwäsche" und "generationenlangen Psychoterror gegen Deutsche" dar (womit man an frühere Klagen über die Re-Education nach 1945 anknüpft, die vom "neurechten" Autoren Caspar Schrenck-Notzing als "Charakterwäsche" diffamiert wurde). Sie würde junge Menschen traumatisieren und sie an der Ausbildung jenes ethnonationalistischen Stolzes hindern, den Rechtsextreme ins Zentrum ihrer Politik stellen. Mangelndes Nationalbewusstsein würde schließlich die "Hinnahme des Bevölkerungsaustauschs" begünstigen – die Akzeptanz ethnischer Diversität.

Nicht nur in ihrer Ablehnung von mahnendem Gedenken sind "Neurechte" sich mit Neonazis einig. Wie Letztere halten sie Wehrmachtshelden in Ehren, ereifern sich über deren vermeintliche Diffamierung, fordern mehr Erinnern an "alliierte Verbrechen", denunzieren die Entfernung pro-nazistischer Gedenkorte als "linke Bilderstürmerei", orten eine "Holocaust-Industrie" am Werke und werden nicht müde zu betonen, dass der 8. Mai ein "Tag der Niederlage" und deshalb kein Grund zum Feiern sei. Auch die "Neue Rechte" will unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit alle "strafrechtlichen Einschnitte in den Diskurs" entfernt sehen und damit das NS-Verbotsgesetz und den Verhetzungsparagraphen – gleichzeitig aber "antideutsche und antiösterreichische Hetze" unter Strafe stellen.

Auch über die gesamte Breite der rechtsextremen Szene gesehen wird Holocaust Denial tendenziell von Holocaust Distorsion in den Hintergrund gedrängt, die sich etwa als Teilleugnung des Holocaust, als Verwischung der Verantwortung für diesen oder in Form von relativierenden Vergleichen mit heutigen (tatsächlichen oder imaginierten) Verbrechen äußert. NS-Verharmlosung verlagert sich auf nicht strafbedrohte Felder wie jenes der Leugnung der deutschen Kriegsschuld. Die jüngste Novelle des Verbotsgesetzes, in deren Ausarbeitung u.a. das DÖW und das MKÖ in konsultativer Funktion involviert waren, hat manchen dieser Tendenzen Rechnung getragen – nicht zuletzt durch Entfernung jener Beschränkung, wonach nur "gröbliche" Verharmlosung der NS-Verbrechen unter Strafe steht. Wie dem Rechtsextremismus insgesamt kann aber auch seinen revisionistischen Tendenzen nicht allein rechtlich begegnet werden. Politische wie auch zivilgesellschaftliche Initiativen sind gefragt, um der Verzerrung der Verbrechen in all ihren Facetten entgegenzuwirken – gleichgültig, ob sie der Rechtfertigung des Nationalsozialismus dienen oder der Rechtfertigung aktueller politischer Projekte.

Für eine umfassende Einschätzung der Situation des Rechtsextremismus in Österreich vgl. den vom DÖW 2025 im Auftrag der Bundesministerien für Inneres und für Justiz vorgelegten Bericht "Rechtsextremismus in Österreich 2023. Unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022".

Bernhard Weidinger
Arbeitsbereich Rechtsextremismus
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)

Empfohlen

11.04.2025 Welchen Stellenwert hat die Vermittlung der Geschichte der Region in der NS-Zeit und ihre Aufarbeitung besonders in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen?

Im Demokratiereport 2024 von SORA wird aufgezeigt, dass sich 20 % der befragten 2.007 Personen in Österreich einen "starken Führe"“ wünschen. Der Demokratiereport 2024 des V-DEM Institutes (Gothenburg, Schweden) zeigt auf, dass es zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder mehr geschlossene Autokratien als liberale Demokratien weltweit gibt. 71 % der Weltbevölkerung leben in einer Autokratie, dem gegenüber leben 29 % in Demokratien.