Welchen Stellenwert hat die Vermittlung der Geschichte der Region in der NS-Zeit und ihre Aufarbeitung besonders in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen?
11.04.2025
Im Demokratiereport 2024 von SORA wird aufgezeigt, dass sich 20 % der befragten 2.007 Personen in Österreich einen "starken Führer" wünschen. Der Demokratiereport 2024 des V-DEM Institutes (Gothenburg, Schweden) zeigt auf, dass es zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder mehr geschlossene Autokratien als liberale Demokratien weltweit gibt. 71 % der Weltbevölkerung leben in einer Autokratie, dem gegenüber leben 29 % in Demokratien.
Die OÖ Berufsschulen haben einen eigenen Unterrichtsgegenstand "Politische Bildung", welcher, je nach Berufsgruppe, in 20 bis 40 Wochenstunden pro Schuljahr unterrichtet wird.
Vor diesem Hintergrund, hat Josef Lindner, Berufsschullehrer an der Berufsschule Linz 8, im Frühjahr 2024 eine Umfrage unter 364 Berufsschüler:innen durchgeführt, in welcher das themenspezifische Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus behandelt wurde.
Das Ergebnis hat gezeigt, dass der Zweite Weltkrieg eine große Bedeutung für Jugendliche hat, jedoch die Hintergründe nur oberflächlich bekannt sind. Gezeichnet war diese Zeit von Hunger, Arbeitslosigkeit und vor allem keiner Perspektive auf ein besseres Leben. Erst dieses soziale Elend mündete in politische Unzufriedenheit, welche den Weg für den Nationalsozialismus ebnete.
Durch die Beschäftigung mit der NS- Vergangenheit sollen die Schüler:innen einerseits dazu befähigt werden, über den Stellenwert der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, über eigene Wertevorstellung nachzudenken und zu reflektieren. Andererseits ist es wünschenswert, wenn Lehrkräfte es schaffen, die Schüler:innen für das Thema zu interessieren, das vorhandene Halbwissen zu korrigieren, damit sie eine gewisse Resilienz gegenüber populistischen, lauten Meinungen und einfachen "Lösungen" für sehr komplexe Probleme entwickeln. Die Vergangenheit soll in die Lebensrealität der Jugendlichen geholt werden, weniger durch Fakten und Zahlen, als vielmehr durch Bezug auf ihre regionale Herkunft, ihre Familiengeschichte und auch durch örtliche Bezüge.
Genau an diesen Punkten setzen die Gedenkstätten an. Hier können die Schüler:innen konkrete Biografien mit ihrer Lebenswirklichkeit verschränken. Der eigene Lebensraum wird vom anonymen Schauplatz zu einem Ort, mit dem sich die Schüler:innen identifizieren können. Die Vergangenheit kann konkret wahrgenommen werden und macht auch meistens betroffen. Wobei es nicht um die Schuldfrage geht, sondern darum, das Geschehene zu verstehen und mit diesem Wissen zu verhindern, dass sich etwas Gleichartiges jemals wiederholen kann.
Es ist wichtig, das kritische Denken der jungen Menschen zu fordern und zu fördern und auch als Lehrkraft kritische Meinungen auszuhalten und zu respektieren. Der Nationalsozialismus und die Shoah dienen als Beispiele unserer jüngsten Vergangenheit, um die Schüler:innen auf ihrem Weg zu selbstbestimmten, unabhängigen, kritischen und hinterfragenden jungen Menschen zu begleiten. Die Gedenkstätten leisten dazu einen einzigartigen Beitrag als Orte der Erinnerung und Begegnung mit der Vergangenheit. Sie lehren historisches Bewusstsein, kritisches Denken, die Macht der Zivilcourage und versuchen durch neue digitale Ansätze die Erinnerungskultur lebendig zu halten. Sie machen deutlich, dass Erinnerung nicht nur die Vergangenheit betrifft, sondern auch eine Aufgabe für die Zukunft ist.
"Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten"
(Helmut Kohl, 1995, Rede im Deutschen Bundestag)
Literatur
- Larndorfer, P. (2021): "Die Bedeutung der historischen Dimension" - Historisch-Politische Bildung in der Berufsschule. In: Dreier, Werner; Pingel, Falk: Nationalsozialismus und Holocaust. Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Innsbruck, Wien 2021. S. 61 - 74.
- Lindner, J. (2024). Wegbereiter des Nationalsozialismus – Soziale und gesellschaftliche Umbrüche in der Zwischenkriegszeit im Enns-Donauwinkel.
- Österreichischer Demokratie Monitor 2024, FORESIGHT Research Hofinger GmbH, Wien.
- V-DEM Institute, Department of Political Science (2024). "Democracy Report 2024, Democracy Winning and Losing at the Ballot". University of Gothenburg, Schweden.
Petra Burg
Direktor-Stellvertreterin Berufsschule Linz 2, Leitung ARGE Politische Bildung der OÖ Berufsschulen
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